Der Redakteur des ARD-Politmagazins „Report München“, Stefan Meining, stellt in seinem Buch Eine Moschee in Deutschland – Nazis, Geheimdienste und der Aufstieg des politischen Islam im Westen in fesselnder und quellenmäßig bestens gesicherter Weise dar, wie der politische Islam in Deutschland entstand und aus zahlreichen Gründen an Boden gewonnen hat. Die Diskussion um ein neues islamisches Zentrum im Herzen Münchens motivierte den Verfasser dazu, die historischen Wurzeln des politischen Islam in Deutschland zu entbergen. In seinen Recherchen wird deutlich: Nicht nur Hitler brauchte die Muslime im aussichtslosen Kampf gegen die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg, sondern auch die innenpolitischen Bürokraten der alten BRD zur Abwehr des Kommunismus.
Auf lokaler Ebene entstanden ab den sechziger Jahren islamische Gruppen. Die Münchner Moschee, vor einem halben Jahrhundert gegründet, stellt dabei bis heute das Zentrum des europäischen politischen Islam dar. Die Verantwortung dafür trägt die deutsche Politik, aber sie hat keine Rezepte zum Umgang mit diesem politisch-religiösen Phänomen.
Der deutsche Irrsinn im Kaukasus
Nachdem der deutsche Waffengang gegen die Sowjetunion in die Defensive geraten war, griffen die Deutschen auf die Hilfe von Freiwilligenkorps, bestehend aus kaukasischen Völkerschaften, zurück. Zu Beginn des Angriffskrieges wollte Hitler nach Aussage des Generals Ralph von Heygendorff mit diesen „Untermenschen“ noch nichts zu tun haben. Hitler war hingegen beeindruckt von der Disziplin und Zähigkeit der Mohammedaner im Widerstandskampf gegen die Rote Armee. Meining zitiert: „Ich halte nur die Mohammedaner für zuverlässig, die anderen für unzuverlässig, alle anderen für unzuverlässig … Diese Bataillone aus rein kaukasischen Völkern zusammenzustellen, halte ich im Augenblick für sehr riskant, dagegen sehe ich keine Gefahr in der Aufstellung rein mohammedanischer Einheiten.“ Die Nazis benutzten die Religiosität der Muslime im Kampf gegen den sowjetischen Atheismus. Der politische Islam wurde zu einer Propagandawaffe der Nazis am Ende des Zweiten Weltkriegs, so Meining.
In fast extensiver Weise zeigt der Autor die Verbindungen deutscher Sicherheitskräfte zu ehemaligen muslimischen Waffenbrüdern nach Kriegsende auf. Dem Leser fällt es aufgrund einer manchmal zu hohen Detailtiefe schwer, die Zusammenhänge im Blick zu behalten, die die Kooperation zwischen deutschen Politikern und den muslimischen Partisanen aufzeigen. Bedenklich waren einige Kontakte zwischen dem nazibelasteten Vertriebenenminister Theodor Oberländer und muslimischen Untergrundkämpfern. Meining verdeutlicht, dass für viele der ehemaligen Partisanen gegen die rote Armee eine Rückkehr in die Sowjetunion tödlich gewesen wäre. Deshalb suchten sie nach Gründen und Optionen, um im Westen bleiben zu können. Die Durchführung von Diensten gegen die Sowjetunion war zu Beginn des Kalten Krieges ein durchaus attraktives Angebot für die westdeutsche Regierung, deren notorischer Anti-Kommunismus alle Mittel zu rechtfertigen schien.
Der Kampf gegen den Kommunismus ermöglichte dem politischen Islam Freiräume, innerhalb denen radikale, undemokratische Ideen institutionell verbreitet werden konnten, so Meining. Er weist nach, dass der Bau der Münchner Moschee, die sich im Stadtteil Freimann im Münchner Norden befindet, von der bayerischen Landesregierung seit Beginn der sechziger Jahre geduldet, wenn auch nicht finanziell unterstützt wurde. Bereits 1960 wurde ein Verein zum Moscheebau gegründet; die Realisierung des Baus verzögerte sich aber aus finanziellen Gründen.
Mit dem Abklingen des arabischen Nationalismus in den siebziger Jahren – die demütigende Niederlage Nassers im Sechstagekrieg von 1967 war hier eine Hauptursache – nahm die Islamisierung zu; gerade in Deutschland fanden die Muslimbrüderschaften mehr und mehr Anhänger. Doch offizielle Stellen sahen keinen Grund, sich mit den ideologischen Grundlagen dieser Gruppierungen auseinanderzusetzen. Im Gegenteil, bis zum Ende der neunziger Jahre hofierten sogar Vertreter der konservativen CSU die Vertreter des Islam, so Meining, ohne deren Vorstellungen wirklich genau zu kennen. Aktionen wie der „Tag der offenen Moschee“ und Vorträge von prominenten Politikern wie Peter Gauweiler mit dem Titel „Europa und seine Muslime“ hatten plötzlich Hochkonjunktur. Mit dem 11. September veränderte sich jedoch die Wahrnehmung des Islam. Hysterisch durchgeführte Razzien durch die Behörden lösten die kritiklose Annäherung der deutschen Politik an islamische Organisationen von heute auf morgen ab.
Die schwere Einschätzbarkeit der Bedrohung
Mit dem politischen Islam ist der deutschen Gesellschaft eine politisch-ideologische Herausforderung erwachsen, deren Gefährlichkeit von den Multikulti-Anhängern nicht wahrgenommen wurde oder wahrgenommen werden wollte, glaubt Meining. Es fehlt allerdings ein sakrosanktes Urteil über die reale Gefährdung unserer Gesellschaft durch den politischen Islam. Dies ist aber vielleicht Schwäche und Stärke des Buches zugleich: Der Leser erfährt auf beklemmende Weise, welche unkontrollierbaren Entwicklungsprozesse ein Kampf von Ideologien und Gegenideologien zur Erreichung übergeordneter politischer Zwecke auslösen kann. Er wird zu einem differenzierten Urteil über die zukünftige Rolle des (politischen) Islam in unserer Gesellschaft aufgefordert – das ist der große Verdienst dieses Buches, das die Komplexität der Problemlage dezidiert darstellt und damit stereotype Urteile delegitimiert.